One europe, one culture

Ein Irrweg im Privaten wie im Geschäftlichen und ein paar Gedanken am Umbruch des Jahres.

Als die Jugend der 70er den Wegfall der Schlagbäume verlangte, „Interrail Tickets“ als der „hippste“ Weg der Erkundung Europas gehandelt wurde – ohne dass man diese Wortwahl zu diesem Zeitpunkt überall als solches verstanden hätte – dachte man nicht über die Konsequenzen einer zu großen Annäherung nach. Das Ziel war die Annäherung.

Heute in Zeiten der Globalisierung, der Lieferkettenabbrüche und der Verbreitung des Englischen als lingua franca (aber auf einem Niveau, dass den Economist zu der Bemerkung veranlasst, „man möge sich vor der kontinentalen Version des Englischen hüten“) und kultureller Brücke, scheint der Widersinn zwischen der Forderung nach Diversität im Lebensraum, Flora + Fauna, und der Forderung nach Vereinheitlichung im gesellschaftlichen und ökonomischen Leben kaum der Bemerkung wert. Trotzdem bleibt gerade diese der Bemerkung und des Nachdenkens wert.

Zu glauben, dass der Hang zur Egalisierung nicht zur Verminderung der Erneuerungsfähigkeit einer Gesellschaft führen könnte und die Vermeidung von Variationen im regionalen und individuellen Lebensbereich nicht nur zur Eintönigkeit, sondern zum Absterben führt, wäre fatal. Vielleicht hatte Spengler – jenseits seiner politisch konservativen Einstellung – zumindest mit der Betrachtung des Lebenszyklus einer Gesellschaft recht: die aus dem Fellachentum kommende Gemeinschaft, die sich zur Hochgesellschaft, der Zivilisation, entwickelt, nur um wieder in ebendiese abzusinken. Zivilisatorische Höhe als Durchgangsstadium.

Nehmen wir gerade an diesem Prozess in den europäischen Staaten teil? Beobachten wir nicht nur den Zusammenprall von Kulturen, von Religionen als Vehikel der Macht? Sondern am Niedergang?  Samuel Huntington polarisiert den religiösen Aspekt der abrahamischen Religionen. Erdogan, Ebrahim Raisi , Reuven Rivlin oder die Breite der Führungskräfte, des immer noch mehrheitlich christlichen Abendlandes, ringen vermeintlich um Lösungen, finden aktuell keine , jedenfalls keine Dauerhaften. Die Themen sind unterschiedlicher Natur. Ölbohrungen vor der zyprischen (geteilten) Insel, osmanische Reminiszenzen eines Erdogan, fehlende stabile  Lösungen in Libyen , kritische Situationen in Nordafrika und Migrationsströme aus der Levante und dem fernen + nahen Osten.

Vorgeschobene religiöse Ansprüche prägen diesen mentalen und corporalen, militärischen Diskurs. Da hinter stehen aber vor allem: Egoismen der Spieler und pure Machtpolitik. Die Frage der Religion hat bereits die Ringparabel (bekannt aus Erzählungen sephardischer Juden auf der iberischen Halbinsel aus dem 10. + 11. Jhdt.) gelöst und ist uns u.a. durch Boccacios Decamerone und Lessings Nathan transponiert worden. Hinter der Religion sollte man sich nicht verstecken.

Die philosophisch, religiöse Vielfalt des asiatischen Raumes kannte diese Ausgrenzung weitaus weniger als der Okzident.

Geistiger Terrorismus, geistige Unterdrückung, beginnt mit der Intoleranz gegenüber dem Andersdenken und endet in der Unterdrückung des Andersartigen. Bücher, Sprachductus, persönliche Orientierung. Geprägt von Vorgaben. Alles schon da gewesen und aktuell wieder en vogue. Gestern noch eine weit verbreitete Meinung der Gesellschaft, heute stigmatisiert, nicht vertretbar. Die Gründe sind verschieden. Auf Seiten der Mächtigen und auf Seiten der Duldenden.

Putin braucht die Ausrichtung auf den Aggressor im Westen, um das eigene Regime stabil zu halten. Deshalb das Klappern am Dorbas. Und der erkennbare Rechtsruck in den europäischen Staaten? Folgt der nicht in erster Linie der Orientierungslosigkeit der Bevölkerung, der Aufhebung der bislang eingeübten Regeln?

Die deutsche Bevölkerung ist demographisch dreigeteilt. Das Revoltieren der Jugend, ihre Konzentration auf den Klimaschutz, nicht wirklich neu. Anders gestaltet. Ja. Aber nicht wirklich verschieden. In den 70er, der Club of Rome meldet sich zu Wort, mag die Publizität des Protestes unterschiedlich gewesen sein. Die Verbreitung artikulierten Widerstandes war definitiv mittelfristiger plaziert, nicht getwittert oder gemailt. Der Aufschrei war trotzdem da. Verlief sich. Wie so oft.

Wir wollen hoffen, dass es nicht wieder so wird. Die Zeit ist mehr als knapp und das Risiko für die gesamte Welt hoch.

Das der Protest nun auch in die mittleren Kohorten der Gesellschaft reicht, lässt hoffen, löst aber den Konflikt nicht und auch nicht andere Themen: Generationsverträge, die von vielen Seiten aufgekündigt werden/werden sollen, Beliebigkeit und hedonistische Orientierung breiter Teile der Gesellschaft, Verminderung des Bildungsniveaus, ein Ausbluten der innovativen Eliten. Schon das Problem, dass man das nicht darf: Eliten benennen, elitär sein. Nicht nur, wenn man dem Anspruch an diesem Begriff nicht genügt sondern allgemein. Sich herausheben ist nur zulässig, wenn es dem hedonistischen Ansatz folgt. Könnte man meinen.

Gleichberechtigung über alles und für alle. Aber nicht im Sinne einer Start- und Chancengleichheit, sondern im Sinne einer Gleichmacherei. Begonnen hat sie Ende der 70er, das Abitur für alle, das Studium für jedermann. Nicht nach Neigungen und Fähigkeiten. Die Bedeutung eines qualifizierten Handwerks, das einst das Aushängeschild der Bundesrepublik war, wurde demontiert. Um die breite Akademisierung zu erreichen, konzentriert man sich auf repetierbares, nicht auf strukturelles, Wissen. Vokabular statt Grammatik. Und das Ergebnis: Egalisierung. Das ist ein Votum gegen die Leistungs- , im Grunde aber auch gegen eine Verantwortungsgesellschaft. Wurzel einer „Geiz ist Geil“ Mentalität.

Und Teile der Gesellschaft bleiben auf der Strecke. Werden, wie es in vielen Publikationen so schön heißt, „abgehängt“. Englisch als Kommunikationssprache ist für gut ein Sechstel der Bevölkerung keine Option. Die fehlenden Synchronisationen in öffentlichen und privaten Fernsehsendungen, Handreichungen für technische Produkte nur noch in nicht-deutscher Version, hindern den lockeren Umgang mit der eigentlich kulturell wünschenswerten Bereicherung, die eine Fremdsprache liefert. Die – viel zu geringe – Digitalisierung der Gesellschaft fordert weiteres Zurücklassen, denn für viele ist der Zwang zu Elster, die Corona App oder die Erledigung der Bankgeschäfte über einen online-account nicht nur eine Herausforderung, sondern ein Hindernis. Das trifft dann durchaus schon ein ganzes Drittel. Das sollte die Einführung der modernen Lösungen nicht hindern, aber die Sorge um die so Beeinträchtigten erhöhen.

Die Öffnung in einen europäischen Rechtsraum unterstützt dieses Gefühl des abgehängt werden.

Nicht weil das europäische Recht, das immer mehr unmittelbar in den deutschen Rechtsraum hineinwirkt, an sich eine Beeinträchtigung darstellen, sondern wohl eher deshalb, weil sie nicht im Widerspiel der Rechtswirklichkeit gewachsen ist. Hayek’s Postulat der Knechtschaft ist nicht ein nur der wirtschaftlichen Betätigung vorbehalten. D.h. die Skepsis gegenüber den Wenigen, die in einer Planwirtschaft die Vorgaben machen, die Vielen, die danach leben müssen. Dass es in der Kommission ähnlich zugeht, kann man nicht bestreiten. Das Gleichmachen hat auch auf dieser Ebene Methode. Eines der Vehikel, mit denen die meisten konfrontiert sind: der Datenschutz. War man in den 80er noch gegen die Volkszählung, kritisierte die Rasterfahndung eines BKA-Präsidenten Herold, muss man heutzutage akzeptieren, dass die freiwillig gelieferten Daten und Informationen viel weiter gehen als die schlimmsten Befürchtungen der Volkszählungsgegner.

Damit muss eine Gesellschaft zu leben lernen. Nicht durch paternalistische Vorgaben der Wenigen, sondern durch einen gesellschaftlichen Diskurs, der den Einzelnen mitnimmt. Dieser Diskurs ist es, der ein Recht, als Abbild der gesellschaftlich gewollten und akzeptierten kodifizierten Lösung, zum angewandten Recht und nicht zum legislativen Diktat macht. Deshalb ist der anfängliche Protest wichtig und richtig, das zugestehen aber auch. Weil es in der Regel auf der veränderten, erarbeiteten Basis und der intendierten gemeinsamen Lösung beruht.

Gesellschaft wirkt durch die Überzeugung von Gruppen. Me Too oder Sprachkatastereien sind Sperrspitzen der Veränderung. Die ihre Begründung haben, bedeutsam sind, aber nicht kommentarlos hingenommen werden müssen. Das Gendern als gesellschaftlicher Zwang; sich im Produzieren einer verballhornenden Sprache und – mit Verlaub – dem teilweisen Pervertieren des gesprochenen und geschrieben Wortes zu ergehen und grammatikalische Regeln ignorierend, ist keine Lösung.

Eine Verordnung ist immer das schlechtere Mittel. In der Sprache, in der Rechtssetzung oder auch nur im politischen Diskurs. Die legislative oder auch nur auf Grund anderer Machtstrukturen vorgeschriebene Lösung – also normative Gesetzesregelungen oder auch religiöse, moralische oder politische intendierte Anforderungen – ist der schlechtere Weg. In der politischen Theorie ist der contrat social eines Rosseaus, den wir aktuell in seinem Wirken, wenn auch mit vielen Störfällen, beobachten können, die Beschreibung eines Lösungsmodelles individueller Interessenslagen versus gesamtgesellschaftlicher Interessen. In der Auseinandersetzung dieser Interessenslagen lässt sich eine stabilisierte Gesellschaft formen. Fehlende Bereitschaft führt zur Betonung der individuellen Zielvorstellungen. Im Extremfall zur ausschließlichen Beachtung der eigenen Interessenslage. Politisch könnten man das, wenn sich dieses Interessenslage nach außen bemerkbar macht, auch als Anarchie bezeichnen. Denn Anarchie ist nicht Freiheit von Regeln, sondern Freiheit von fremden Regeln, die Verwendung der eigenen Regeln und das führt dann zur gesellschaftlichen Vielfalt von Regeln, Anarchie als gesellschaftlich wahrnehmbare störende Vielfalt.

Ähnlich wie in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts problematisiert sich die Findung einer eigenen und einer gesellschaftlich vertretbaren Position auf Grund der Instabilität der vorhandenen Strukturen. Damals vornehmlich aus dem Zusammenbruch der alten Ordnung (Kaiserreich, Erstarken der Sozialdemokratie, wirtschaftliche Schwierigkeiten), heute aus den Auswirkungen einer Globalisierung, Migrations- und Kulturüberlappungen, ohne zeitlichen Rahmen, der eine Adaption und eine Assimilation ermöglichen würde. Natürlich auch durch den Fall der Mauer, den Zerfall der russischen Föderation und dem Wiedererstarken, aber auch der Beförderung der Entwicklung Chinas und dessen Einflussnahme über das Konzept Seidenstrassen. Übrigens ein Thema, dass China schon einmal im 14. Jhdt. durch Zhèng Hé ( 郑和)mit seiner Flotte von 300 Dschunken + 28.000 Mann Besatzung in Politik umzusetzen versuchte. Dort aber scheiterte und die Abkehr Chinas vom Abendland begründete.

In der Globalisierung könnte eine Lösung darin liegen, das Spannungsverhältnis in den verschiedenen Gesellschaften zu vermindern, indem man die Egalisierung der Produkte + kulturellen Übereinkünfte fördert und fordert. Das geht aber einher mit einer gewaltigen Anstrengung in den lokalen Gesellschaften. Der Überwindung von deren Beharrungsvermögens, wenn es denn ein Ziel wäre.

Und ehrlicherweise muss man dann auch den Blick auf die Strukturen werfen, die die negativen Entwicklungen, Widerstände, dieser Globalisierung einzufangen versuchen. Aktuell in China die Uigurenpolitik und der Unterdrückung Tibets, aber auch Sozialmodelle wie die Bonus- und Maluspunkte, die den angepassten Bürgern mehr Freiheiten vermitteln, alle anderen benachteiligt. Die Kurdenpolitik eines Erdogan, seine Unterdrückung der HDP oder die Beschränkung der CHP, bis hin zu Wahlmanipulationen in Lukaschenkos Reich oder das Verbot von Einrichtungen der Zivilgesellschaft in Russland, Ungarn oder der Türkei. Im Extrem muss man sich auch dem Gedanken stellen – die Sprachpolizei lässt grüßen – dass die Kontrolle, Überwachung und Sanktionierung moralisch-ethischer Regeln hierzulande und nicht nur in China Platz greift. Dann wären auch wir nahe an der Situation des Buches, dass 1948 entstand und heute, 37 Jahre nach seinem Titel immer noch eine unbeschreibliche reale Brisanz hat.

Kultur ist nicht nur ein Thema des Privaten, sondern auch des wirtschaftlichen Diskurses. Große monopolistische oder oligopolistische Unternehmen leben von einer Vereinheitlichung. Gleichmachend, gleichgestaltend. Kämen Sie allein zum Zuge führte das zur Stasis, zum relativen Stillstand. Wirtschaft geht nicht ohne große Unternehmen, aber auch nicht nur mit ihnen. Der Mittelstand ist das oft beschworene und auch belegte innovative Momentum der Wirtschaft. Kreative, „Trüffelschweine“, Erfinder und Finder von Lösungen. Großunternehmen wie Microsoft, Apple, aber auch SAP bedienen sich dieses kreativen Potentials, entlassen es auch gelegentlich wieder durch einen SPIN OFFs. Nur um späterhin wieder darauf zurückzugreifen.

Was das besagt: Diversifikation, regionale Differenzierung ist notwendig und sinnvoll. Ihr den Raum den sie braucht zu erlauben, aktiv zu geben, muss aber auch das Zeitmoment beachten. Nicht die konzeptionelle Vorgabe einer kleinen Gruppe für alle, sondern einer Vielzahl von Konzepten für Viele, ist der oberste Lehrsatz. Für den Bereich der Gesellschaft, der kulturellen Durchwachsung, aber auch der wirtschaftlichen Entwicklung.

In allen Bereichen muss man die Protagonisten, die Mit- und die Nicht-Mitspieler zusammenbringen. Nicht stehen lassen. Ob man den kulturellen Wandel im Unternehmen oder in der Gesellschaft begleitet, macht keinen wirklichen Unterschied. Dazu muss man aber – und das obliegt der Regelungskompetenz auch von Wenigen – kanalisieren, Raum + Zeit schaffen, den gesellschaftlichen und politischen Diskurs fördern und fordern. Übrigens ein Gedanke der Marktwirtschaft im Sinne der Freiburger Schule. Aber nicht gleichmachen, sondern den Lebens- und Gestaltungsraum des einzelnen respektieren und einbinden. Damit das Prinzip des contrat social vs. der Anarchie die Oberhand behält.

Wir wünschen für das kommende Jahr 2022 ein gedeihliches Gelingen der eigenen Projekte, Erfolg bei und in Ihren Unternehmungen und Gesundheit für jeden Leser.

UWE GESPER GHP Gesper, Strieder + Partner

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